Sennheiser HD800S im Test – Offener Over Ear Kopfhörer mit Potential zum Kultstatus?

Die HD600er Reihe von Sennheiser erfreut sich größter Beliebtheit und der HD650 hat in Fachkreisen schon seit langer Zeit Kultstatus erlangt. Mit dem HD800 und der konsequenten Weiterentwicklung zum HD800S gibt es einen Kopfhörer der „neuen Zeit“. Neue Techniken, neues Design und ein höherer Preis treten an gegen Tradition. In wie weit es der HD880S dem HD650 hinsichtlich Kultstatus gleichtun kann, dass wird sich zeigen. Ob er aus meiner Sicht das Potential zum Kultkopfhörer hat?

Der HD800S wurde mir freundlicher Weise direkt von Sennheiser für diesen Artikel leihweise zur Verfügung gestellt.

 

 

Lieferumfang


Der HD800S wird in einer Präsentationsverpackung geliefert, deren Größe mit guten 14L (35x27x15cm) beachtlich ist. Kopfhörer und Kabel haben separate Fächer, so dass mechanische Beschädigungen während des Transports durch Zubehör ausgeschlossen sind. Neben zwei 3m langen Kabeln, eines mit 6,3mm Klinke Stereo und eines in symmetrischer Ausführung mit einem 4-poligen XLR Stecker, werden lediglich noch Produktinformationen in Papierform mitgeliefert. Die Kabel fallen mir schon beim Herausnehmen sehr positiv auf. Interessant ist, dass bei vielen hochpreisigen Kopfhörern Kabel mitgeliefert werden, die ich persönlich oft als zu unflexibel empfinde, ganz ungeachtet aus welchem Material sie bestehen. Die Sennheiser Kabel gefallen mir sogar sehr gut, denn sie sind nicht nur angenehm flexibel sondern auch ab dem Split bis zum Eingangs-Stecker mit einem Geflecht überzogen. Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, wäre das lediglich eine Ergänzung um ein kürzeres, mobiles Kabel, idealerweise ein CH800P jedoch mit nur 1,7m Länge.

 

 

Design


Im Jahr 2009 hat Sennheiser mit dem HD800 den Schritt zum Design des 21. Jahunderts vollzogen. Ovale, klassische Formen in homogener Farbgebung wurden ersetzt durch Kombinationen verschiedener geometrischer Formen in Schwarz und Silber. Dabei wurde der HD800 insgesamt schlanker bei deutlich erweitertem Platzangebot für die Ohren. Ein neuer Star war geboren. Trotz oder auch wegen Kritik wurde dann im Jahr 2016 der Nachfolger, der HD800S, präsentiert. Wer sich bis dahin noch an der farblichen Komposition des HD800 gestört hat, mir erschien er stets etwas „nervös“, war spätestens dann aber mit dem HD800S versöhnt, denn der kommt zu 90% in mattem Schwarz daher. Lediglich einzelne Komponenten aus Edelstahl wie ein Teil des Kopfbandes, Schrauben und Gelenkstifte sowie das Drahtgeflecht über den Treibern unterstreichen nun die Eleganz der Formen statt sie noch wie beim HD800 zu viel in den Vordergrund stellen zu wollen. Definitiv hat Sennheiser im Design mit dem HD800S ein zumindest für meinen Geschmack sehr gutes Upgrade zum HD800 vollzogen.

 

 

Technische Daten


Wie immer nenne ich hier nur die für mich wichtigsten Daten und verweise auf die Seite des Herstellers für alle Details.

Beim Sennheiser HD800S handelt es sich um einen offenen, ohrumschließenden Kopfhörer mit einer Impedanz von 300 Ohm. Laut Hersteller werden Frequenzen zwischen 4 und 51.000 Hz bei maximal -10dB vom Normal wiedergegeben. Der Wirkungsgrad wird von Sennheiser nicht angegeben. Vergleiche zur erreichbaren Lautstärke sind weiter unten im Abschnitt „Klangkette und -potential“ zu finden. Alle weiteren Informationen zum HD800S sind hier bei Sennheiser nachzulesen.

 

Vearbeitung & Langlebigkeit


Kurz vorab: Für gewöhnlich habe ich mit Leihgeräten, die bereits dutzende Stationen hinter sich haben immer so mein Problem nämlich dann, wenn es um die Bewertung der Verarbeitung geht, da sie oft nicht mehr im Neuzustand sind und es unklar ist, wie schlimm teilweise zuvor mit den Geräten umgegangen wurde. Beim HD800S ist mir das jedoch völlig egal, weil…

Der HD800S ist hinsichtlich der Konstruktion und Verarbeitung ohne Kritik. Alle Materialien sind ohne erkennbare Spaltmasse verarbeitet. Es gibt keine Oberflächenabweichungen. Selbst Kratzer oder Abnutzungen von Verschleisteilen wie Polster suche ich vergebens beim mir zur Verfügung gestellten Test-Kopfhörer, der bereits vor mir durch etliche Hände gewandert ist, sei es bei Reviews wie meinem oder bei seinem Dienst auf diversen Veranstaltungen. Zu sehen – oder besser nicht zu sehen – ist im Youtube-Video gut sichtbar in Nahaufnahmen wie hervorragend auch jetzt noch die Mechanik funktioniert. Es gibt keinerlei Spiel und nichts ist auch nur im Ansatz ausgeleiert. In Bezug auf die Langlebigkeit ist das allein schon super. Dazu kommt noch, dass Sennheiser Ersatzeile zu erschwinglichen Preisen anbietet und so Kopfband und Ohrpolster für schmales Geld erneuert werden können. Im Vergleich sind die Ohrpolster für 72€ bei Sennheiser zu haben während Focal für die Polster des Elear bereits etwa 150€ veranschlagt. In Bereich Verarbeitung und Langlebidkeit gibt es ganz klar die Schulnote 1.

 



Tragekomfort


Auch wenn der HD800S in Sachen Design und Verarbeitung erste Sahne ist, so dürfte er nicht jeden Träger im Bereich Tragekomfort zufriedenstellen. Das gilt leider auch für mich. Und obwohl ich schon einen recht großen Kopf habe, kämpfe ich mit einigen Problemzonen. Die Polster sind sehr flach und fest, zudem sind sie flächig sehr groß, was mir zunächst sehr gefällt. Auch wenn nun im Vergleich zu den Kopfhörern der 6er Reihe meine Ohren mehr Platz haben, liegen die Polster zu steif um meine Ohren auf. Nach etwa einer Stunde macht sich das im Bereich des Jochbeins bemerkbar und ich benötige eine Pause, um dann weiterhören zu können. Ich ziehe da ganz klar Kopfhörer mit dicken Polstern idealerweise mit Memory-Foam vor, die nach wenigen Minuten sich komplett an die Kontur des Kopfes angepasst haben und dann kaum mehr spürbar sind. Dickere Polster beim HD800S würde allerdings mit deutlichem Bassverlust einhergehen. Andererseits haben Polster auch einen erheblichen Anteil am Klangtuning. Vielleicht überrascht Sennheiser ja irgendwann einmal mit speziell entwickelten Upgrade-Polstern.

 



Klangkette und -potential


Obwohl der Sennheiser HD800S mit 300 Ohm Impedanz daher kommt, ist er doch vergleichsweise einfach anzutreiben. Selbst am Kopfhörerausgang des iPhone 6S spielt er in brauchbarer Lautstärke, wenngleich er dabei sehr komprimiert angesteuert wird, „Klang“ ist was anderes. Doch bereits mit dem Shanling M0 lässt er sich bei maximaler Lautstärkeeinstellung auf „hoher Zimmerlautstärke“ bringen und das bei guter Auflösung und Dynamik. Hier deutet sich schon an, wie der HD800S in Abhängigkeit zur Quelle sein klangliches Potential entfalten kann. Der ifi-Audio xDSD oder auch ein Fiio Q5 haben keinerlei Probleme, den HD800S selbst ohrenbetäubend anzutreiben. Auch klanglich ist das dann noch einmal ein Upgrade. Stationär spielt der Sennheiser am Inline AmpUSB EQ (hier geht es zum Artikel auf Miniklangwunder…) bereits auf 12 Uhr Stellung maximal laut und das ebenfalls bei sehr gutem Klang. Absolut herausragend spielt die Kombination RME ADI-2 DAC
(hier geht es zum Artikel auf Miniklangwunder…) und Sennheiser HD800S. Was der RME Verstärker grundsätzlich zu leisten vermag, ist im hier verlinkten Artikel im Detail zu lesen. Jedenfalls liefert auch der ADI-2 DAC mehr als genug Leistung und in Bezug auf den Klang bietet er nahezu unbegrenzte Individualisierungsmöglichkeiten, ohne dass der HD800S seine technischen Grenzen erreichen würde. Dort wo andere Kopfhörer überfordert werden, weil deren Hardware keine weitere „Optimierung“ zulässt, ohne ungute Nebeneffekte zu Tage treten zu lassen, zeigt Sennheiser was von den verbauten Komponenten mindestens erwartet werden kann, nämlich herausragende Verzerrungsfreiheit auch bei individueller Klanganpassung.

 

Klang & Hörproben


An dieser Stelle weise ich gelegentlich gern darauf hin, dass eine Klangbeschreibung und Bewertung immer subjektiv geprägt ist. Wäre sie rein objektiv gehalten, würde sich hier nichts anderes finden als eine Messung mit beschreibenden Text und maximal allgemeinen Hinweisen, also alles sehr theoretisch und akademisch gehalten. Das passiert hier natürlich nicht, hier gilt es, das subjektive Empfinden möglichst plastisch und nachvollziehbar zu beschreiben.

Der HD800S spielt absolut auf Flaggschiff-Niveau. Er dickt im Bass nicht unnatürlich auf und dennoch bringt er ein absolut gefälliges Federn mit sich. Weder im Mitten oder Hochtonbereich gibt es zu starke Unter- oder Überbetonungen, lediglich im Superhochton „sticht“ er mir bei einigen Tracks im Ohr. Das ist mir besonders aufgefallen bei „Out of time“ von Blur. Im Mittenbereich ist er genauso leicht zurückgenommen, wie ich es mag und erreicht seine klangliche Präzision und Brillanz auch Dank moderater Betonung zwischen 6-7kHz sowie einem energetisch stabilen Hochton zwischen 10-15kHz. Damit klingt der HD800S einerseits sehr entspannt und andererseits aufgeregt zugleich. Am meisten beeindruckt mich das bei Dire Straits, Chris Rea, Eric Clapton usw. Da hat der HD800S einen WOW-Effekt mit Zurücklehn-Faktor. Es gibt nicht viele Kopfhörer, die ich bis jetzt gehört habe, die eine solche „Auflösung“ beherrschen und tatsächlich mit entsprechendem Quellmaterial vor allem aber mit dem zuspielenden Kopfhörerverstärker so grandios skalieren. Klingt der HD800S am DAP wie dem iBasso DX150 oder dem Hiby R6 schon sehr gut, klingt er am ADI-2 DAC im Flat-Betrieb grandios. Verblüfft hat mich auch der Hörgenuß in Verbindung mit meinem Inline AmpUSB EQ, ein sehr kleiner KHV mit einer Röhren-Vorendstufe. Der Inline treibt den HD800S ganz locker an und „entgratet“ den Frequenzverlauf des HD800S in den Spitzen schon ein wenig. Ebenfalls eine tolle Kombo.

 

 

Hörproben

Dire Straits „Private Investigations“

Wie schon angedeutet kommt Dire Straits zuerst dran. Mit Privat Investigation zeigt der HD800S zunächst, wie hervorragend er Dynamik, Separation und Auflösung beherrscht. Der gut verständliche Sprechgesang wird eingerahmt von einer sich allmählich sehr räumlichen aufbauenden Atmosphäre, die mich bis zum Ende des Songs fesselt. Auch wenn Klavier und Hi-Hats für mich am Grenzbereich „arbeiten“, macht der HD800S auch laut hier richtig Spaß.

 

Lira „Feel good“

Tolle Rechts-Links-Separation der Instrumente schon gleich am Anfang. Der Gesang zentral auf den Punkt fokussiert. Der Chor nur rechts und links zu hören. Das wirkt leicht übermotiviert abgemischt, ist jedoch tatsächlich eine Eigenart der Reproduktion des HD800S. Da muss man sich drauf einlassen (können), das kling einzigartig. Sehr interessant ist, dass trotz des ausgeprägten Stereo-Effektes die Stimme von Lira absolut mittig zu hören ist. Hinsichtlich der tonalen Abstimmung gefällt mir der HD800S richtig gut. Der Bassbereich ist sehr schön modelliert, wenngleich ich die härteren Anschläge auch schon trockener gehört habe. Die Stimme und Instrumente passen sehr schön zusammen und sind ganz leicht zurückgenommen, was mir aber sehr gut gefällt. Die oberen Mitten und der Hochton sind spritzig betont. Bei diesem Song passt tonal alles zusammen.

 

Patricia Barber „Black Magic Woman“

Das Album „Companion“ von Patricia Barber und besonders dieser Song steht bei mir ganz weit vorne, wenn es um den Genuß von Live-Aufnahmen geht. Dieses Song habe ich schon so oft gehört und trotzdem treibt mir der HD800S schon während der ersten Sekunden ein breites Grinsen ins Gesicht. Im Hintergrund aber ganz weitläufig zu hören ist das an den Tischen sitzende und mit Gläsern anstoßende, sich unterhaltende und klatschende Publikum während die Perkussions, und die Gitarre in etwa 60 Grad breite vor mit zu hören sind. Der Gesang der Barber kommt dann genau mittig von vorne und lässt mich quasi den Gesang von ihren Lippen lesen. Barbers Black Magic Woman über den Inline AmpUSB zurückgelehnt ganz entspannt im Sessel sitzend gehört mit dem HD800S… DAS ist Gänsehaut-Faktor durch und durch. WOW. Extraklasse.

 

Steely Dan „Do it again“

Der HD800S spielt das Stück überaus räumlich und alle Töne sind gewissermassen separat heraushörbar. Das wirkt schon fast, als sei es eine überarbeitete Fassung im positiven Sinn. Erst das klar zu hörende leise Knistern der Schallplatte zeigt, es ist die uralte Fassung auf Vinyl. Klasse! Dennoch ist es sehr auffällig und interessant, dass der mit einem elektronischem Chorus versehene Gesang im Ursprung von rechts und links enstehen zu scheint wobei allerdings im Zentrum eine akustische Lücke bleibt. Irgendwie passt es, doch es wirkt ebenfalls ein wenig unnatürlich auf mich, da hier genau das Gegenteil zu dem passiert, was ich bei den zuvor gehörten Liedern höre, nämlich den absolut zentrierten Gesang. Das ist auch das, wass mich trotz der Gewöhnung nach ein paar Minuten immer wieder irritiert, denn je nach Lied ändert sich dieses Verhalten, was mich irritiert. Im nächsten Song erwarte ich auch wieder raumhaften Gesang und plötzlich ertönt der nur eindimensional im Kopf.

 

Blur „Out of time“

Wie bei den Songs zuvor fällt sofort zu Anfang die Räumlichkeit auf, mit der der HD800S aufspielt. Auch hier passt tonal alles zusammen, der Tiefbass ist genau passend wahrnehmbar und dickt nicht zu sehr auf. Die Stimme steht leicht im Vordergrund, bei anderen Kopfhörern ist mir das oft schon etwas zuviel, mit dem HD800S genau richtig. Allerdings bringt er Sibilanzen mit sich, so dass S-Laute mir zu scharf klingen. Das zieht sich durch den kompletten Song und wird für mich ab „Zimmerlautstärke“ auf Dauer unerträglich. Glücklicherweise fällt mir das in diesem Song nur so extrem auf.

 


Fazit


Der HD800S weiß zu überzeugen. Sehr ehrlich abgestimmt, höchste Präzision und Transparenz zeichnen den offenen Over Ear als Flaggschiff im noch bezahlbaren Kopfhörersegment aus, den Orpheus mal außen vor gelassen. 😉 Trotz sehr schöner räumlicher Abbildung und einer fein gestaffelten Bühne höre ich den Gesang zu sehr in meinem Kopf fokussiert. Was bei Live-Aufzeichnungen wie etwa Patricia Barbers „Companion“ hervorragend das Dabei-im-Club-Feeling herauszaubert, verwirrt mich bei bei Studio-Alben immer wieder. Auch wenn der HD800S nicht ganz meine persönlichen Präferenzen trifft, hat er definitiv das Zeug zum Kopfhörer mit Kultstatus. Er bietet eine phänomenale Separation und Auflösung bei klanglich absolut hervorragender Abstimmung. Hat der Sennheiser HD800S das Zeug, ebenfalls Kultstatus zu erlangen? Ein ganz klares „Ja“!

 


Bewertung


  • 95%
    Tiefbass - 95%
  • 95%
    Bass - 95%
  • 96%
    Mitten / Stimmen - 96%
  • 96%
    Mitten / Instrumente - 96%
  • 93%
    Obere Mitten - 93%
  • 91%
    Brillanz / Hochton - 91%
  • 93%
    Dynamik - 93%
  • 98%
    Räumlichkeit - 98%
  • 96%
    Design - 96%
  • 98%
    Konstruktion - 98%
  • 98%
    Verarbeitung - 98%
  • 86%
    Tragekomfort - 86%
  • 82%
    Preis - 82%
93.6%


Video & Galerie

…mit einem Click wird Youtube in einem neuen Fenster geöffnet.

Klangfreund"M"

gelernter Radio- und Fernsehtechniker und ein Klangfreund mit Leidenschaft zu Kopfhörern, DAPs und sonstigen Miniklangwundern; liebt eine ordentliche Reproduktion satter Bässe, ausgewogene Wiedergabe von Stimmen und Instrumenten, entspannter Hochton mit akzentuierter Brillanz, kurz TP-Signatur; OverEar-Lineup: Dan Clar Audio Expanse, Meze Empyrean 2, Hifiman HE1000SE, HEDDphone 2, Hifiman Audivina, Dan Clar Audio E3; InEar-Lineup: Headphone Company Zeitgeist Blue, Sennheiser IE600, iBasso iT07; Dauerhaft eingesetzte DAPs: Cayin N8ii, iBasso DX320 Max TI; Kopfhörerverstärker im Bestand: Cayin HA-3A, RME ADI 2/4 Pro SE, ifi Audio GO Bar